AfD, Trump, PEGIDA? - Time for Slime!
25.09.2017 | Johannes Kley
Die USA haben einen rassistischen Präsidenten, in Dresden marschieren jeden Montag frustrierte, selbsternannte Patrioten auf und die AfD sitzt schon in den Landtagen. Das politische Klima kippt erschreckend stark nach rechts und erstickt Fakten und Menschlichkeit in seinem Gebrüll. Klar, dass Slime das so nicht stehen lassen können.Mit 16 neuen Tracks hauen die vier Männer und die Dame am Bass ein Album raus, welches sich stark dagegen stellt. Die Songs „Unsere Lieder“ und „Sie wollen wieder schießen (dürfen)“ gab es bereits vorab im Netz und zeigten recht gut, was dieses Album ist: Ein politisches Werk mit Herz und Verstand.
Ohne Atempause geht es durch 16 Songs in verschiedenen Gewändern. Da gibt es Surfrockmomente, Rapeinlagen und Reggaeausflüge, aber vor allem Punkrock. Hart wird mit allem abgerechnet, was die derzeitige Welt so schrecklich macht. Die Themen sind beispielsweise Nazis…ähhh…Patrioten, oder die, die sich dafür halten, „Ich bin kein Nazi aber“-Typen, Neoliberalismus, Narzissten, NSU, die schweigende Mehrheit und Gentrifizierung. Typischerweise sind die Texte wenig verschnörkelt und hauen die Message direkt raus. Die meisten Lyrics sind gut, wütend und sehr persönlich geschrieben. Die Zeilen wirken nicht abgehoben und bleiben trotz mancher Überspitzung auf dem Teppich. Die Texte sind unglaublich nah am Puls der Zeit und in dieser aufgebrachten Stimmung genau das, was man von einer Punkband erwartet. Es wird Stellung bezogen und Widerstand gefordert, wo er angebracht ist. Die CD ist ein Soundtrack für Demos und AZ-Treffen. An manchen Stellen gibt es ein paar Zweckreime, aber das hält sich in Grenzen und ist hinnehmbar.
Die meisten Refrains eignen sich super zum Mitgröhlen und dürften bei Konzerten gut funktionieren. So bleiben sie einfach im Kopf und schon nach dem ersten Durchhören hat man einen Ohrwurm von einem der Tracks. Unterstützung gibt es durch verschieden Gastmusiker. Swiss und Pablo Charlemoine (Irie Revoltés) rappen in „Patrioten“ gegen PEGIDA und Konsorten. Die Sänger der schottischen Wakes und der italienischen Los Fastidos stimmen bei „Let’s Get United“ mit ein. Ein Kinderchor ist übrigens auch noch mit dabei. Die Kollaborationen bringen frischen Wind in die Songs, auch wenn die Rap-Parts teilweise etwas fehl am Platz wirken.
Musikalisch werden alle Register gezogen. Mal geht es straight und rotzig nach vorn, nur um danach in eine recht gefühlvolle Ballade zu wechseln. Gitarre, Bass und Drums leisten gute Arbeit und liefern fähige Punkrockhymnen ab. Unterstützt werden sie teils durch die Bläsertruppe von Seeed. Für Abwechslung ist also gesorgt, und auch wenn „Hier und Jetzt“ größtenteils Deutschpunk ist, ist es niemals langweilig oder monoton. Slime machen keinen 3-Akkord-Schrammelpunk, grandiose Melodien sollte man dennoch nicht erwarten. Ab und an gibt es mal ein Gitarrensolo und ausgefeilte Akkordfolgen, aber es ist und bleibt Hamburger Punkrock. Meist ist das auch gut so.
Der Sound ist warm und hart zugleich. Das Mastering ist gelungen und lässt trotz aller Produktion ein gutes Maß an Rotzigkeit und Kanten in den Songs. Kleine Extras, wie eingespielte Reden von Obama, Trump und der Verlesung eines Teils der „Denkmal der Schande“-Rede von Oberpatriot Höcke, tragen immens gut zur Stimmung bei. Bis auf ein paar kleine Ausnahmen, wie dem Raptrack „Patrioten“, der zwar inhaltlich überzeugt, aber sperrig klingt, ist das Songwriting gelungen und nachvollziehbar.
Man merkt, dass sich Slime für dieses Album Zeit gelassen haben und auch wirklich Bock hatten, Musik zu machen. Kein Song wirkt lieblos oder erzwungen. Der Sound ist erwachsen und vielleicht ein wenig sanfter als die frühen Werke der Band, ohne den Biss in den Texten verloren zu haben.Trotz ihres vergleichsweise hohen Alters zeigen Slime auf „Hier und Jetzt“, was deutscher Punkrock 2017 kann und auch können muss: Anecken, Aufwecken und vor allem Rocken, meistens zumindest! Eine Empfehlung für dieses Album kann eigentlich Allen ausgesprochen werden, die keinen Bock auf Nazis haben und Punkrock mögen.
PS:
„Mir wär’ es lieber uns’re Lieder wären nicht mehr aktuell und niemand würde sie noch sing’.
Sie wären nur ein Zeugnis einer längst vergessenen Welt und keine Zeile würde heut noch stimmen.
Ich hätte lieber Unrecht.“ - SLIME – „Unsere Lieder“
Wie wahr. Uns auch.
Tourdates
Wertung
Punk’s Not Dead und Slime sind der lebende Beweis auf diesem akustischen Mittelfinger gegen Turbokapitalismus, Faschos und Unmenschlichkeit!
Wertung
Slime melden sich zur genau richtigen Zeit zurück. Hier und da ein paar Neuerungen, unterm Strich aber alte, bewährte Slime-Kost. Mahlzeit!
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.